Gießener Allgemeine vom 26. Januar 2010

Ein kompakt konzipierter Klassiker

Das White Horse Theatre gastierte mit Shakespeares »Hamlet« auf der Bühne des Kellertheatre im Margarete-Bieber-Saal.

2010_01_26_GAZ Wenn irgendwo ein Stück von Shakespeare auf dem Spielplan steht, weiß der Zuschauer genau Bescheid, er sollte Zeit, viel Zeit, mitbringen. Es geht aber auch anders. So geschehen auf der Bühne des Kellertheatre im Margarete-Bieber-Saal. Gegenwärtig ist zu Gast im nunmehr zehnten Jahr das White Horse Theatre, eine 1978 in Sommerset/England gegründete Theater-Compagnie, die mittlerweile in Deutschland residiert. Spezialgebiet sind didaktisch kluge Vorstellungen im Schulbereich. Daher werden die Stücke, Klassiker oder Aktuelles, kompakt konzipiert. Regisseur Michael Dray zeigt mit »Hamlet«, wie so etwas ohne »Gähnballast« funktioniert.
White Horse ist als ein Tour-Theater auf kleine Besetzung und bescheidene Bühnen eingerichtet. Folglich treten die meisten Darsteller in verschiedenen Rollen auf. Im vorliegenden Fall steht ein Personenquartett auf der Spielfläche. Hamish Stansfeld spielt die Hauptrolle, Elena Kaufmann mimt Gertrude, Noor Lawson schlüpft in die Figuren von Ophelia, Horatio und Laertes, Andrew Malkin gibt den Claudius, Polonius und den Geist von Hamlets Vater. Warum wie im Original lange um den heißen Brei drumherumreden, wenn die mögliche Essenz so viel näherliegt.
Beleuchtung, Geräuschkulisse, Bühnenhintergrund (Friedhof) und teilweise auch die Kostüme sind vollständig dem ernsten Unterton zugeordnet. Spaß ist weit entfernt. Zu Lachen gibt es fast nichts. Zur dezidierten Auflockerung sind aber Malkins sparsame Gesten und Mimik als Polonius gerade gut genug: hinreißend komisch, doch weit genug entfernt von Komödiantentum. Tragende Figur des 90-minütigen Kleindramas ist Stansfeld nicht nur wegen seiner Hauptrolle, sondern weil er sich hineinwirft, völlig aufgeht und abtaucht in die seelischen Irrungen und Wirrungen des jungen Prinzen.
Didaktisch dazu passend ist der Wandel der Kleiderordnung bei Hamlet. Anfangs noch eines Adligen würdig, hängen nachher das Hemd aus der Hose und die Hosenträger an jenen herunter. Der aus den speziellen Zwängen einer Kleinkunstbühne und der Ensemblegröße heraus entwickelte Kompromiss zeigt also keine moderne Variante des Klassikers im eigentlichen Sinn, aber eine entrümpelte, dem Charakterstudium zugewiesene Fassung, die keinen unberührt lässt.
Weitere Aufführungstermine sind am 28., 29., 30. Januar und am 4., 5., 6. Februar.
vh