Gießener Anzeiger vom 25. Januar 2010

Gothic-Charme im verfaulten Staat

White Horse Theatre gastiert mit "Hamlet" für vier Schauspieler im Margarete-Bieber-Saal

2010_01_25_GA GIESSEN(rob). "The rest is silence (Der Rest ist Schweigen)" - der markante Schlusssatz aus William Shakespeares "Hamlet" ist in der Version, die das White Horse Theatre derzeit im Margarete-Bieber-Saal zeigt, recht wörtlich zu nehmen. Rein rechnerisch ist nämlich keiner mehr übrig, der noch den Horatio geben könnte, um der Nachwelt irgendeinen aufklärenden Bericht abzuliefern.
Die Truppe spielt auf Einladung des englischsprachigen Keller Theatres eine von Michael Dray (auch Regie) und Pauline Stuart auf vier Schauspieler zusammengeraffte Adaption des elizabethanischen Klassikers.
So gibt Andrew Malkin nicht nur den intriganten Brudermörder und Dänemarks unrechtmäßigen König Claudius, sondern auch den übereifrigen Kämmerer Polonius sowie den Geist von Hamlets Vater. Noor Lawson changiert treffend zwischen den Hosenrollen, spielt, vor der giftigen Schlussszene, Horatio und Laertes ebenso wie die liebliche Ophelia.
Elena Kaufmann ist allein als Gertrude besetzt, hat aber als Königin und Mutter ja strategisch doppelt zu tun. Die Titelrolle gibt ein beeindruckender Hamish Stansfeld, dessen souveränes Ausdrucksrepertoire den Abend hervorragend trägt. Alle restlichen Rollen sind gestrichen: Drays und Stuarts komprimierte Stückfassung setzt dramaturgisch clever den Prinzen ins Zentrum. Die Szenenabfolge funktioniert wie ein Tanz um eine Mitte aus Hamlets Wahrheitssuche und Rachegelüsten. Die zentralen Szenen kommen da besonders gut zur Geltung: "Something is rotten in the state of Denmark", "To be or not to be" - natürlich alles drin.
Auch die Ankunft der Schauspieltruppe am Hofe funktioniert als skizzenhaftes Maskenspiel hervorragend. Als Zeichen für Ophelias psychischen Verfall besingt Noor Lawson ganz wunderbar ihre Verzweiflung, was auch dank des weißen Nachthemdes auf den bevorstehenden Tod im Fluss hindeutet.
Auf engstem Raum und mit einfachsten Mitteln spielt das Quartett sich durch die Szenen- und Kostümwechsel, dass es fast mysteriös scheint, wie reibungslos das alles vonstatten geht. Regisseur Dray setzt dem Ganzen dazu ein Gothic-Ambiente auf, als wäre Helsingör nicht im mittelalterlichen 10. Jahrhundert, sondern im Zeitalter der Shellys und Poes verortet. Tief schwarz sind die Augen geschminkt, eine breite Kohlestiftzeichnung einer Friedhofslandschaft bildet die Kulisse. Alles in allem für Shakespeare-Kenner wie Laien, Fortgeschrittene und Einsteiger ein empfehlenswerter Abend.
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Weitere Vorstellungen am 28., 29. und 30. Januar sowie am 4., 5. und 6. Februar.