Gießener Anzeiger vom 28. September 2009

Zwischen Strand und Psychatrie

Keller Theatre zeigt mit "Semblance of Madness" und "Finding the sun" zwei Einakter im Margarete-Bieber-Saal

GIESSEN (hsc). Zwei Einakter stehen auf dem aktuellen Programm des Keller Theatre, "Semblance of Madness" von John H. Newmeir in der Inszenierung von Rosemarie Bock und "Finding the sun" von Edward Albee in der Inszenierung von Martin P. Koob. Zwei Welten, eine psychiatrische Anstalt und, nicht ganz das Gegenteil, der Strand, sind die Spielorte. Gelegenheit für das bestens aufgelegte Ensemble, die Obergrenzen der Dynamik zu testen und zugleich nuancierte Arbeit zu zeigen. Das Resultat ist ein überaus amüsanter Abend, stellte sich bei der Premiere heraus.
Der Clou bei "Madness" liegt darin, dass von den drei Frauen nur eine nicht in die Psychiatrie gehört. Davon bekommt der Zuschauer jedoch zunächst wenig mit, denn Regisseurin Rosemary Bock (Co-Regie Aliye Inceöz) als Dawn, Irene Loizides (Hannah) und Jessica Schulze-Bentrop als Jones, das emotionale Schlachtschiff, spielen die emotionalen Konflikte der Figuren derart intensiv, dass dem Publikum zuweilen der Atem stockt. Mit Bock hat man praktisch permanent Mitleid, sie zuckt unter Jones` brutalen Ansturm zusammen, duckt sich weg und zittert erbarmungswürdig. Loizides, um Ausgleich bemüht, gibt die Vermittlerin, während Schulze-Bentrop durchaus genüsslich die Vollblut-Entgrenzte mimt, was sich sehr schön ansieht. Riesenbeifall.
In der zweiten Abteilung setzt man praktisch das gesamte Personal ein, um Edward Albees Strandszenarium "Finding the Sun" zu bevölkern, eine routiniert geschriebene Sache, in der sich nach und nach verborgene Beziehungen (auch homoerotische, früher undenkbar) zwischen den Figuren abzeichnen, man kennt das Prinzip. Aber Martin P. Koobs Umsetzung holt aus den Figuren und vor allem den Akteuren bemerkenswert viel Substanz heraus. Er hält Routiniers wie Peter Merck (in seiner 45. Spielzeit) sicher im Ausdruck und führt die unerfahreneren Spieler geschickt an ihre vorläufige Obergrenze. Dabei fallen einige Begabungen auf (Sharon Rieck als Getrude liefert beim ihrem ersten Mal ein paar schöne Nuancen, genau wie Maria Valentina Kiefer, der man sofort mehr zutraut). Debütantin Leonie Sparling agiert als Abigail so frisch und lebendig, als wär es nichts, und Regisseur Koob legt einen kontrollierten Auftritt hin. Merck als Henden, der alte Herr ("I´m seventy!"), macht die zu erwartende tadellose Figur, obgleich er im Text leicht driftet, und Sophie Härtel verströmt ihr komödiantisches Talent so entspannt, natürlich und vor allem präzise, wie andere Leute telefonieren - eine große Leistung. Kevin Jeddoudi (Daniel) wirkt bei aller sich entwickelnder Routine (er ist zum zweiten Mal dabei) irgendwie unpersönlich, Christoph Seibert, mit siebzehn der Benjamin der Truppe, schafft bei seinem ersten Mal einige altersgemäß diskrete, verschmitzte Pointen.
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Weitere Aufführungen 2., 3.,16. und 17. Oktober jeweils um 19.30 Uhr.